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Rákos-Keresztúr, den 25. Jänner 1867.
Liebster Freund!
Ich weiß nicht was ich von Ihrem langen Stillschweigen
denken soll, das ich mir gar nicht erklären kann, da
es ganz unbegründet ist. Daß Sie meinen letzten, noch im
November geschriebenen Brief nicht erhalten haben, kann
ich nicht annehmen, da Sie stellen aus demselben in
einem Briefe an Natzi zitirten. Und dennoch haben Sie
ihn bis heute, also zwei Monate lang, nicht beantwortet.
Habe ich das um Sie verdient? Wahrlich nicht; denn ich bin
mir der reinsten Freundschaftsgefühle gegen Sie bewußt.
Nun denn, ich wenigstens will nicht Schuld sein, daß ein
Briefwechsel und damit zugleich ein Verhältnis ein ge¬
waltsames Ende nehmen, welche nur seit ihrem bestehen
schon viele wahre Seelenfreude verursacht haben. Sollten
Sie mir etwa geantwortet haben, und sollte der Brief, wie
dies bei unseren gesegneten postalischen Zustände leicht
denkbar, seine Bestimmung verfehlt haben? Oder wären Sie
etwa krank? Dies ist eine Eventualität, die ich am meisten
fürchte, daß Sie mir aus einem unbekannten Grunde
zürnen und darum schweigen, halte ich nicht für möglich,
da es durchaus kindisch und unmännlich wäre, trotzig
zu verstummen, wo man sich durch männliches, offenes
Reden Wahrheit verschaffen kann. Oder sollten Sie mich ver¬
gessen haben...? Ich muß letzteres annehmen, wenn
Sie mich nicht umgehend, und wäre es auch nur in ein
Par Zeilen, des Gegentheiles versichern.
Ich bin höchst begierig zu erfahren, wie es Ihnen in Boross¬
Jenő geht, ob das Lehrjahr, das einen so unheilverheißenden
Anlauf genommen, seinen traurigen
[...]
ent¬
[hiányzó szövegrész]
sprüht, oder ob es denn doch besser geht, als wir erwarten durf¬
ten? Ferner: wie hat Sie meine Beurtheilung Ihres „Szobámhoz”
befriedigt, und waren Sie seither produktiv.
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Was den letzteren Punkt in Bezug auf mich anbelangt,
so habe ich seit meiner letzten Mittheilung vier Gedichte,
die ich alle für sehr gelungen halte, geschrieben, nämlich:
„Völkerleichen” (30 vierzeilige Strophen) „Natur und Mensch”
(22 Terzinen) „Auf der Wanderschaft” (2 vierzeilige Strophen)
und „Winterbild” (7 Strophen à 2 Zeilen.) Dann an Unbedeuten¬
derem eine „Gelegenheitsode an den König Johann von Sachsen”,
die an die Spitze einer, von Spiegl verfassten Broschärn
zwangen soll, endlich ein humoristisches, in der Manier des
bluhenden Umsinns geschriebenes Gedicht „Fromme betrachtung”
das in dem Pester Witzblatt „Die Fackel” erschienen ist,
und sehr gefallen hat. – An Prosa habe ich ein größeres
Feuilleton „Slavische Weihnachtsgebräuche” gemacht, das
vom „Lloyd” acceptirt, aber noch nicht erschienen
ist. Dann habe ich für deutsch etwa 30 achtzeilige Strophen
à 45
fr.
, zu Bildern aus der ungarischen Geschichte gehö¬
[rövidítés] kreuzer = krajcár
rig, übersetzt, und arbeite jetzt an „Bildern aus der
ung.
Geschichte”, die, eine Jugendschrift, 32 große Quartseiten
[rövidítés] ungarische
stark, im Mai erscheinen soll, und für die ich 25
fl.
be¬
[rövidítés] florin
komme. Auch für Sie dürfte sich späterhin manche Arbeit,
nämlich deutsche Sachen ins Ungarische zu übersetzen, er¬
geben, für die ich Ihnen einen recht günstigen Preis ver¬
schaffen werde.
Was den Zukunft meines Lehrerseins anbelangt, so ist derselbe,
wie ich Ihnen froh mittheilen kann, völlig gesichert. Nach
Aufwendung der mächtigsten Protektion ist es mir gelun¬
gen, vom Superintendenten
w.
Török[rövidítés] wohlgeboren = tekintetes, tisztelt
*
, die, eigentlich gegen
Török Pál (1808-1883) református püspök, iskolaigazgató
das Gesetz verstoßende, Erlaubniß erhalten,
[törölt]
« de »über die letzten drei Klassen und Matura am Pester
reformirten Gymnasium ablegen zu dürfen. (Das Gesetz ge¬
stattet höchstens Prüfung über zwei Klassen.) Über die
Sechste habe ich schon am 1. Dezember mit glänzendem
Erfolge Prüfung abgelegt, am 29. Juli folgten die
VII., VIII., und die Matura. Der ganze Spaß, kostet sammt
den anzuschaffenden Büchern blos 70
fl
. Nicht wahr, ein
[rövidítés]
sehr gutes Geschäft?
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Nun und Sie? Haben Sie Aussicht, sich etwas zu ersparen? Ich
will, wie wol es vielleicht noch nicht an der Zeit ist, Ihnen
Mittheilung von einem meiner Lieblingspläne machen,
der mich in letzter Zeit sehr lebhaft beschäftigt. Sie wissen,
daß ich hier 210 fl. bekomme, welche Summe ich wol auf
220 fl. steigern kann. Das Leben hier ist das angenehmte,
die Umgebung die liebenswürdigste, die man sich denken
kann. Keresztúr ist zwei Meilen von Pest entfernt, und
verkehrte zwischen hier und der Hauptstadt zwei Stellwä¬
gen, die von hier täglich um 7 Uhr früh wegfahren, um
9 Uhr in Pest sind, um drei Uhr wenden und um ½ 5,
im Sommer später, hier anlangen. Wenn man einen frei¬
en Tag hat,
z. b.
den Samstag, kann man immer nach fest
[rövidítés] zum beispiel
hineinfahren. Die hin- und Rückfahrt kosten zusammen 60
kr
,
[rövidítés] kreuzer = krajcár
so, wann Sie in
K
. und ich [rövidítés] Keresztúr
[törölt]
« P »regste Verkehr zwischen uns unterhalten werden:
einen Samstag würden Sie mich, den andern würde ich
Sie besuchen. Da Sie keine Sensarie zu bezahlen hätten,
so blieben Ihnen die 220
fl.
ganz, und da Sie hier, wenn
[rövidítés]
Sie nicht mit Gewalt verschwenden, unmöglich mehr als
20
fl.
jährlich auf Korrespondenz, Rauchen, nach Pest
[rövidítés]
Reisen und Geschlechtsgenuß ausgeben können, so blie¬
ben Ihnen nach Jahresfrist 200
fl.
zur anständigen
[rövidítés] florin
Equizirung und endlichen Erreichung Ihres sehnlichst an¬
gestrebten Zieles. – Dieser Plan, wie gesagt, beschäftigt mich
lebhaft, und es wird sicher ausgeführt werden, woferne
nur Sie, als die Hauptperson, nicht dagegen sind, und zu
diesem letzteren hätten Sie wirklich nicht Ursache
[törölt]
« , ».
An
[betoldás]
meiner Sache ja gewiß zu sein, bereite ich die Leute
schon jetzt auf Sie vor,
d. h.
ich schildere Sie so, daß man
[rövidítés] das heißt = azaz
Sie achter und lieben muß, lese Ihre Gedichte vor, schildere
Sie,
u. s. w.
, ohne ein Wort davon zu sein, daß Sie der künftig
[rövidítés] und so weiter = és így tovább
Erzieher sein würden. Wenn ich am 1. Oktober weggehe, und so
als meinen Nachfolger bezeichne, wird man dies noch als ein
wahres Glück betrachten müssen. Was meinen Sie zu meiner
Idee?
_039_09_f02v.jpg)
Und zum Schluße sagen Sie wir noch, ob schon etwas von Ihren
Sachen erschienen ist? Wenn es Ihnen Freude macht, so sage
ich Ihnen, daß ich Ihren „Springbrunnen”, des besseren Ver¬
ständisses halber in herrliche Jamben übersetzt habe, jedoch
nur die erste Hälfte. Dann häufte sich die Arbeit und ich
mußte es bleiben lassen.
Wenn Sie nicht gleich antworten, wird auf Sie böse
zu sein Ursache haben Ihr Freund
Max Nordau