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Rákos-Keresztúr, den 6. November 1866.
Liebster Freund Kiss!
Es gab eine Zeit, wo ich mich selbst ausgelacht hätte, wenn
ich einen Brief angefangen hätte
würde.
Es gibt böse Geister und
böse Verhängnisse! Und doch zwingen mich die Umstände zu diesen
Aussprache. Der Freund, der mir wahlverwandt ist, spricht mich in
seinem Leben zum erstenmale um einen bedeutenden Gefallen
an, der Zufall macht, daß der Brief an Natzi gelangt, daß die¬
ser gerade einen Anfall seines krankhaften Trübsinnes hat,
daß in Folge dessen zwischen uns und ihm ein arges Miss¬
verständnis entsteht, und ich den Brief, der die bitte enthalt
erst nach erfolgter Aushöhnung,
d. h.
am 28. [rövidítés] das heißt = azaz
v. N.
, also drei
[rövidítés]
Tage vor Ihrem letzten Briefe erhielt, und zwar zugleich mit
dem Briefe eines gewissen Wiesel, den Sie gewiß kennen wer
[szerkesztői feloldás]
¬den; dieser Wiesel, der früher Erzieher in Fuchs" schon Hause war,
schreibt mir, daß die in Boross-Jenő angelangt seien, und
daß es Ihnen sehr gut gehe; daraus schloß ich, daß die Bitte, die
ohnedies schon drei Wochen alt war, keiner Erledigung
bedürfe. Nicht wahr, ein merkwürdiges, ein wunderbares
Zusammentreffen der Umstände? – Mich zu entschuldigen, war Pflicht
da Sie, wie ich es erwartete, an mich nicht zweifelten; wäre der
geringste Zweifel, aber ist Ihrer Seele erwacht, so würde
alle und jede Entschuldigung nichts genützt haben.
Ich lebe nun schon einen Monat auf dem Lande, und habe
richtig schon etwa fünf Jahre des unnennbaren Schmerzes
gelebt! Vor allem der Abschied von meiner Schwester, der in
mir die Gefühle erregte, die etwa Columbus gehabt, haben
würde, wenn ihm um Schiffbruch angesichts der amerikanischen
Küste das Betreten des Landes unmöglich gemacht hätte. Dann
Natzi!... Ich hätte ihm in einem Briefe gesagt, er solle nicht so
tödtlich traurig sein, ich müsse doch ebensoviel leiden, und habe
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ein Opfer gebracht, und
[törölt]
« darauf »bewältigt. Daraufhin schreibt er mir einen Brief voll schreck¬
lichster Vorwürfe, ich habe nie gefühlt, ich mache ihm mein gebrach¬
tes Opfer zum Vorwürfe, ich wolle das Verhältnis brechen,
nun mal, er werde mich darum doch immer so lieben wie bis¬
her, und er sei nie, am wenigsten von mir verstanden worden.
Meine Antwort, die ich gleich nach Empfang, des entsetzlichen Briefes
schrieb, war Blut, heißes, trauchendes Blut. Ich ließ sie aber zwei Ta¬
ge liegen, und schrieb denn noch zwei Seiten hinzu, die viel,
viel kälter waren. Natzis Antwort darauf ist eine entsetzliche,
tödtliche, beißende Ironie – er nennt mich „Geehrter Freund” und schreibt
zum Schluß „am die Fortdauer Ihrer warthen Freundschaft bittend zeich¬
ne ich Ihr I. Bh. Weiss." Denken Sie sich ein Todtengesicht zu einer
griehenden Fratze verzerrt! Denken Sie sich ein dünne Eisdecke
und darunter, durchscheinend, ein Meer von Blut! Das war die Wir¬
kung dieses kalt sein sollenden Briefes, unter dem man doch einen
unermeßlichen Abgrund der Verzweiflung sich. Ich machte ein ge¬
fährliches Experiment, ich gebrauchte eine giftige Medizin: Ich ant¬
wortete in demselben Tone!! Das wirkte! Natzi fühlte alle süßen
Erinnerungen in seinem Herzen erwachen, er bat die Hand, und
ich nahm Sie mit bittere Thränen an. Um der Freund, jedoch ganz
zu heilen, fuhr ich auf vier Stunden nach Pest, sprach mit ihm
und brachte alles ins richtige Geleist. Was ich während dieses
zehn Tage fühlte, werde ich nicht vergessen, und wenn die
Zufunkt
*
Ätnas Flammenströme durch mein Herz gießen wird.
helyesen: Zukunft
Ich würde krank, und kann mich erst jetzt nach vierzehn Ta¬
gen langsam davon erholen. Jetzt weiß ich, wie man in einer
Viertelstunde alt wird.
Das hab ich zu tragen! – – Józsi ist seit fünf Tagen in Pest.
Sonst weiß ich nichts; geschrieben hat er mir nichts, und Natzi
hat
[törölt]
« er »getheilt; ob er nach Zomba zurückkehrt, oder was er überhaupt
anfangen wird, werden Sie von Nazi erfahren. Ich gebe
den Jungen verloren. Meinen Sie! Es ist ein Mensch gestorben!
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Die Muse war mir seit ich an Keresztúr bin, noch nicht sehr gewogen,
ich habe noch nichts als ein vierstrophiges, mal stimmungsvolles,
aber sonst ganz mißlungenes „Winterliedchen” geschrieben.
Dafür aber liege ich fleißig dem Studium der Geschichte und
der ästhetischen Wissenschaften ob. Schauen Sie, daß Sie endlich
auch zum lernen kommen, und setzen Sie sich endlich mit
irgend einem
evang
. oder [rövidítés] evangelisch
ref
. Gymasium wegen der
[rövidítés] reformiert
Matura in Verbindungs. Jungern Sie, entbehren Sie, nur brin¬
gen Sie 200
fl.
zusammen! Daß Rákosis[rövidítés] florin
*
Erfolg Sie anregt,
Rákosi Jenő Aesopus című drámáját 1866. október 14-én mutatta be a Nemzeti Színház, a darab zajos sikert aratott.
Freut mich sehr. Sie thun sehr recht, wenn Sie daraus den Schluß
ziehen, daß das Verdienst schließlich
[törölt]
« bei »eine Welt sich entgegenstemmt. Lassen Sie sich von Misserfolgen
nicht abschrecken, die Glückskinder sind selten, die den Weg zur
Anerkennung auf weichen Teppichen wandeln. Es geht mir
auch nicht besser! Aber darum verzagen? Da müßt" ich mich schämen,
eins Feder in die Hand genommen zu haben?
Was mein „Deutschland” betrifft, so weiß ich ebensowenig darüber
bestimmtes, als Sie. Es befindet sich in Brüssel bei Juhr, dürfte
jedoch wahrscheinlich acceptirt werde.
[törölt]
« Ich »Tagen wird es sich entscheiden.
Ich sollte Ihnen – mit Recht könnten Sies fordern – Schilderun¬
gen Keresthurs, meines Lebens, meiner Empfindungen und
Gefühle geben.
[törölt]
« Ich »dies thun können, jetzt nicht, ich habe eine schwere Krankheit
überstanden. Wissen Sie nicht, daß man eine Krankenstube nicht
betreten darf? Nun denn, mein inneres ist eine Krankenstube,
und ich scheue mich noch, die Thüre zu öffnen.
Ich sehe
[törölt]
« viel »den anfängt... Wir wandeln beide einen dernenvollen weg,
wie nöthig ists, daß wir uns an der Hand fassen um nicht zu strau¬
cheln! – Damit durch
[törölt]
« Straucheln »Lagern bleibend
an der Post kein unliebsames Ver¬
säumnis eintrete, theile ich Ihnen mit, daß die Briefe für Keresttur
jeden Montag, Mittwoch und Freitag Mittag von Steinbruch abge¬
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holt werden. Richten Sie es in Zukunft wie möglich so ein, daß
Ihr Brief an einem der genannten Tage in Steinbruch an¬
langt, dann habe ich ihn noch an demselben Tag. Beantworten
Sie dieses mein Schreiben möglich bald, wenn nicht gl
[...]
ei[hiányzó szövegrész]
[betoldás]
verspreche auch nicht faul zu sein. – Zu Ihren Eroberungen, Sie
kleiner Mann und großer Eroberer, Sie Napoleon der II., wün¬
sche ich Ihnen Glück. Von mir ist dergleichen vor Jahresfrist nicht
zu befürchten. Meine zerrüttete Gesundheit macht es mir zur
Pflicht der Selberhaltung, mich mindestens so lange besonders zu
schonen.
Nur weiß, wann ich Sie sehen werde! Darüber pflege ich recht leb¬
haft nachzudenken. So kurz war der schöne Traum des zusammen
seins, und so wenig haben wir dieses benützt! Wer von den
Realisten würde es glauben, wer von den Idealisten würde mich
nicht verachten, wenn ich sagte, daß Geld unter gewissen Ver¬
hältnissen Freundschaft bedeuten kommen
[törölt]
« , »?
Und doch ist dem so! Könn¬
[betoldás]
ten Sie sich nicht durch Freundschaftsleistungen, Gefälligkeiten,
u. s. w.
, ohne
[rövidítés] und so weiter = és így tovább
daß es Sie Geld kostete, photographiren lassen, wenn in Borossjenő
überhaupt ein Photograph existirt? Ich würde so gerne Ihr Porträt
besitzen. Es ist eine Schwachheit an dergleichen Äußerlichkeiten
mit Sehnen zu denken, aber ich will einmal schwach sein, und der
Natur ein Opfer bringen.
Ich drücke Ihren die Hand so warm, als es mir jetzt ums Herz ist, –
es ist so süß, der fernen theuern zu denken! Laß mich abbrechen.
Ihr
Max Nordau
das verpfuschte „Winterlied” lautet:
Ich sitz in dämmernder Stube
und draußen rieselt der Schnee;
doch tief im Herzen drinnen
da ists mir gar so weh. –
Es deckt die Schneesdecke
die Erde in ihrer Ruh,
doch häufet Last auf Lasten
der Winter noch immer dazu.
Und bittres, bittres Leiden
zermalt mir schier das Herz,
noch wälzt das Schicksal drüber
noch immer neuen Schmerz.
Aus meinen Augen brechen
und rieseln den Thränen säh,
vor meinen Fenster traurig
geminder rieselt der Schnee.