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Pest, den 11. Septemb. 866.
Liebster Freund, mein bester Kiss!
Ihren ungeduldig erwarteten Brief, habe ich gestern, am
1ten Tag Rosch haschonoh, erhalten, zu einer Zeit er¬
halten, wo er mir wahrhafter Trost war, doch
davon später. Jetzt erkläre ich Ihnen nur, daß
ich weder gestern, noch heute, als am zweiten Fest¬
tage, Gelegenheit hatte, zu Hause zu schreiben. Allein
jetzt bin ich in der Redaktion, zu thun habe ich nichts,
ich schreibe als Ihnen, und zwar in Ermangelung
eines anderen Papieres, auf dieses „gefundene” blaue,
das meine Augen in demselben Maße verdirbt,
als es meine Schrift unleserlich macht.
Bester Freund, Ihre Theilnahme, mit der Sie fürchten,
der nächste Brief werde wieder ärgere Hiobsposten
bringen, hat mich innig gerührt. Allein unbesorgt!
Ich beginne mich nach und nach zu erholen, mich
aus den Banden, in die eine höllische Krankheit
Körper und Geist geschlagen, allmälig zu entwinden.
Hier meine Krankengeschichte der letzten Woche.
Als ich Ihnen zuletzt schrieb,
d. h.
[rövidítés] das heißt = azaz
*
am 1., hatte die
das heißt = azaz
Syphilis ihren Höhepunkt, ihre Krisis erreicht; ich hatte
zu gleicher Zeit: zwei Pauken, die mich am Gehen
verhinderten, einen Schanker, der auffallend um sich
fraß, einen spanischen Kragen
*
, der entsetzlich schmerzte,
spanyolgallér = fitymaszűkület
Feuchtwarzen, die mich beim Stuhlentleeren, und einen
beginnenden syphilitischen Tripper, der mich beim Uri¬
niren höllisch quälte. So behaftet, war ich völlig
verzweifelt, ohne Phrase dem Selbstmorde auf ein
Haarbreit nahe. Sonntag (2.) war ich bei Poór
*
, und
Poór Imre (1823-1897) orvos, egyetemi tanár.
zu meinem gewaltigen Erstaunen lächelt der Mann,
nachdem er alles gesehen und gehört hat, und sagt: „Nur
unbesorgt, junger Freund, es ist alles gut. Ich habe
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Ihnen im Voraus gesagt, daß das erste Stadium der Krank¬
heit nach drei Wochen beendet ist. Nun wol – die drei
wochen sind vorüber, das Gift stürmt zum letztenmal
gegen Ihren Organismus aufs heftigste an, aber
nur um dann zu weichen. All diese Übel werden
viel schneller verschwinden, als Sie glauben, nur mache
ich Sie aufmerksam: daß Sie jetzt der geringste Di¬
ätfehler, die kleinste Vernachläßigung unglücklich
macht. Befolgen Sie alles genau und seien Sie sorglos.”
So viel hatte Poór noch nie gesprochen, ich war ge¬
tröstet. Er verschrieb nur auf einmal vier Rezepte.
Gegen den Tripper „Aqua satura” zum einspritzen. Gegen
Schanker und spanischen Kragen „Aqua destillata” und „Aqua
phagadaea
fl
.” zum waschen. Gegen Pauken: „Sperma Ceti[rövidítés] fluidum
*
”
A spermaceti az ámbráscet fejüregében található viaszos anyag.
„Kali bicarb.”, Salbe zum aufstreichen, gegen die feucht
Warzen ebenfalls eine Salbe, deren Rezept ich ver¬
gessen habe. (Nebenbei, fragen Sie doch Ihren Bekannten,
den Apotheker, nach all diesen Mitteln? Da er Sie
so viel fragt, rächen Sie sich auf gleiche Weise!)
Und richtig, nach drei, sage drei Tagen war alles
verschwunden! Es ist unglaublich! Heute habe ich nur
mehr ein ungeformtes Glied und den Schanker, der
täglich kleiner wird, und sich nach Póors
[!]
Meinung
[sic!]
in einer Woche wahrscheinlich schließen wird!
Aber warum Ihr Brief nur gestern als Trost kam?
Weil ich vorgestern einen furchtbaren Anfall von
Magenkrampf wieder bekam, die mir auf ein
Nacht die Besinnung raubte (denken Sie, wie meine
Eltern bei einer 8 stündigen Ohnmacht, bei völliger
Pulslosigkeit und Erkaltung erschreken!) und mich
gestern in einem Zustand ließ,
[törölt]
« d »tiefbewegt mich freute, daß Freunde für und
an mich denken, wenn ich selbst nicht denken.
Mit der Beschreibung dieser Krankheit will
ich Sie nicht quälen: Ich bin noch je
[szerkesztői feloldás]
tztich kaum diese Feder halten kann, beim Gehen
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umsinken muß, und dabei noch immer einen Schmerz
im Magen fühle, der nicht zu schildern. Herr, nur
gesund mann ich wäre!
Nun zu Ihrem Briefe. – Sie trauen sich wehmüthig über
die „Nefelejts” Nummer, getrost, bald, viel eher als Sie
glauben, sollen Sie auch „einen Pallast errichtet
haben”. Und was hat man auch an einem solchen
Palaste? Von mir sind schon etwa 24 Original¬
gedichte, eine Anzahl Übersetzungen, ein halb
dutzend Märchen, und ganz gute Märchen, unzählige
literarhistorische Aufsätze erschienen, und was bin
ich jetzt mehr, als ich war? Das heißt noch alles
nicht! Selbstständig wenn man vor die Welt
treten kann, dann, aber erst dann hat man sich ent¬
weder einen Palast erbaut, oder – ein Grabgewöl¬
be!
Sie verlangen noch zwei Exemplare „Meerarbeiter”
für erhalten Sie hin, und ohne Nachnahme. Sie
äußern eine Physik nöthig zu haben, Sie sollen
hin besitzen. Nur lernen! – Allein Sie äußern
etwas von einem Leide, das Sie drückt, und
[...]
t
[hiányzó szövegrész]
Sie mich nicht belasten wollen... Das hat nicht
der Freund geschrieben, nur der „Bekannter.” Der
Freund würde wissen, daß der Magnet kräftiger
wird, ja mehr es trägt! Schutten Sie Ihre Seele
aus! Und können Sies nicht in Form eines Geständ¬
nisses, so, lächeln Sie nicht, thun Sie es im Liede,
da theilt sich die Seele freier mit. Ihren „Szökőkút”
kann ich auch im nächsten Briefe aus führlich beurtheilen,
wenn Sie glauben, schicken Sie ihn immerhin an
Zilahy – nur keck sein! Ihre Novelle wird mich freuen –
nur eilen Sie ja nicht! Das ist der Ruin aller
neueren Dichtwerke! Den „
főv. lap.
” schreiben Sie
[rövidítés] Fővárosi Lapok
nochmals eine Provinzkorresponden, legen einige
Gedichte
[törölt]
« n »_021_04_f02v.jpg)
fügen ungefähr dazu: „das Erscheinen meines ersten
Briefes ermuthigt mich, Ihnen einen zweiten Bericht
und einige Gedichte zu zusenden
u. s. w.
Um eine Zu¬
[rövidítés] und so weiter = és így tovább
sendung mindestens des Nummern, in denen etwas
von mir enthalten ist ersuche ich höflichst
u. s. w.
” End¬
[rövidítés] und so weiter = és így tovább
lich schreiben Sie doch auch an die übrigen Mode¬
blätter! Nur Verbindungen anknüpfen, das ist un¬
bezahlbar!
Ihr Vorwurf Natzi gegenüber ist bei mir wolange¬
bracht, im nächsten Brief kriegt er seinen tüchtigen
Verweis. Wenn er Ihnen übrigens nur alle drei
Wochen schreibt, so werden Sie nur wenige Briefe
mehr von Kis Kér aus bekommen, denn in drei
Wochen muß er schon einige Zeit hier sein!
Sie haben die Stelle für die Neujahrswünsche leer ge¬
lassen, ich thue das nicht. Ich wünsche Ihnen als „Bekann¬
ter” nur dreierlei fürs nächste Jahr: eine Matura,
Heckenast als Verleger, und Gesundheit. Und der Freund
wünscht Ihnen außerdem noch mindestens 300 Stunden
[...]
, pontischer Muse. Dann sind Sie ganz glücklich.
[hiányzó szövegrész]
An Neurigkeiten weiß ich nicht viel. Apropos, habe
ich Ihnen in der Hitze das Gefechtes vielleicht verges¬
sen mitzutheilen, daß meine Schwester Netti am
25. August verheirathet hat? Vorgestern Nachmit¬
tag ist Czuczor an der Cholera gestorben, gestern
würde er bergraben. Die Cholera müthet hier heftig.
Ich habe Ihnen doch geschrieben, daß ich sie vor mehr als
zwei Wochen hatten und 3 Tage lang zwischen Tod
und Leben schwebte? Mein Gedächtnis ist so schwach
worden! Ich bin gar nicht der Alte mehr!
Nur bald (ich sollte sagen: gleich) antworten, Sie sehen, ich thue
für
[törölt]
« E »stes! Ich bin jetzt ganz allein, seit auch Dr Földényi
krank, und Eisenstamm abgereist.
Es drückt Ihnen die Hand Ihr Freund
Max Nordau