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Pest, den 26. August 1866.
Theurer Freund!
Heute früh habe ich Ihren Brief bekommen, der mir wahren Bal¬
sam bot. Armer Freund, wie Sie besorgt sind! Aber da Sie
schwarz sehen, kann ich Sie doch nicht erschrecken, wenn ich Ihnen
Alles sage: Nun denn, ich habe einen sehr schlimm stehenden
Schanker am Gliede, eine Pauke an der linken Leiste, und seit
heute schwillt mir der Theil unter der Eichel und macht
mir grässliche Schmerzen. Was aber auch Natzi nicht weiß,
ist, daß ich vergangenen Montag einen Cholera (oder
wie der Doktor beschönigend sagt: Cholerinen) Anfall, der
fast 20 Stunden währte, und so entsetzliche Schmerzen berei¬
tete, daß ich mich wundere, nicht grau geworden zu sein.
Seit diesem Tage (also fast eine Woche) habe ich nichts mehr
als zusammen etwa ein ¼ Pfund fester, und etwa 2 Pfund flüs¬
siger Nahrung zu mir genommen. Mein ganzer Organismus
ist herabgekommen, und bis zum Tode erschöpft. Was der Geist
in Folge dieses Körperzustandes zu leiden hat, davon können
Sie sich keinen Begriff machen; doch ja – wenn Sie diesen Brief
mit meinem sonstigen Wesen vergleichen. Wie mein Körper
zum Schatten abgemagert ist, so ist auch – wenn ich so sagen
darf – mein Verstand abgemagert. Wir weiß, wie viel Mo¬
nate nöthig sein werden, mich nur geistig wieder zu erholen!
Jetzt wenn jemals ist mir ein empfangener Brief ein
freudiges Ereigniß. Da ich selbst nicht denken kann, freue ich
mich kindisch zu sehen, wie andere denken... Denken Sie doch
viel, bester Freund, liebstes Kisschen, und schreiben Sie mir
das Gedachte auf! Sie wissen nicht, wie es mich in meinem
elenden Zustand freut, von jemandem, den ich lieb habe, etwas
zu lesen.
Warum ich Ihnen nicht geschrieben habe, daß ich krank sei? Vor allem
hatte die Krankheit auf mich den Einfluß, daß ich eine gewisse
Trägheit nicht überwinden kann. (Auch dieser Brief kostet mich saure
Mühe.) Und dann wollte ich Sie, dem ich doch in meinem Leben noch
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so wenig Freude machte, nicht unnöthig betrüben; während ich
dies Natzi leider schuldig war. Also darum ja keine Schlüsse,
aus diesem Stillschweigen auf kalte Freundschaft gezogen!
Ich muß mich ein wenig ausruhen, ehe ich weiter schreibe.
Es ist ein eigenes Gefühl zu sehen, wie Freunde sich um
Einen grämen. Sehen Sie, es ist sonderbar, aber ich wün¬
sche mir oft, zu sterben, um zu sehen, wie sich meine Freun¬
de nach meinem Tode benehmen würden. Die Thränen
und Seufzer würde ich mit Wollust entgegennehmen...
Egoismus selbst noch drin Sterben noch! – Aber so besorgt! Grä¬
men Sie sich doch nicht, Freund, man stirbt ja nicht so schnell,
wenn man jung ist! Gerührt hat mich Ihr pekuniäres Aner¬
bieten. Eben weil ich ein poetische Fühlender bin und weil
ich Ihr poetisches Gemüth kenne, mußte dieses von der rüh¬
rendsten Aufmerksamkeit diktirte Anerbieten doppelt wir¬
kungsvoll sein. Aber nein, ich danke Ihnen, ich hab"s nicht noth.
Ich brauche ein Wasser zum Waschen der Wunde, eine Salbe
auf die Pauken, Pulver und Pillen zum einnehmen, und je¬
den zweiten Tag Türkenbäder im Kaiserbade. Dies würde
jeden anderen wöchentlich 5
fl
. kosten, ich habe alle Medika¬
[rövidítés] florin
mente und die Bäder umsonst, und brauche auf meine
Kur blos 66
kr
wöchentlich, für dreimaliges Fahren nach
[rövidítés] kreuzer = krajcár
und von dem Kaiserbade. Behandelt werde ich vom Dr Poór
*
,
Poór Imre (1823-1897) orvos, egyetemi professzor.
zu dem ich wöchentlich zweimal gehe. Bewegung mache ich gar
keine, außer Abends, wenn ich in die Redaktion gehe. Seit
Natzi zu Hause ist, bin ich nämlich wieder bei den Eltern.
Zu lesen habe ich nichts, und ich kann auch nichts lesen, mein
Geist ist nicht stark genug für meine gewöhnliche Lektüre,
und französische Romane lesen mag ich nun einmal nicht. Ja
ja, schöne Situation das! Und wie ich dazu gekommen bin!
Hat Ihnen Natzi nicht geschrieben? Und überhaupt – er ist
wol sehr besorgt, der arme Bruder? Schildern Sie mir doch
der Ton des Briefes, in dem er Ihnen von meine Krank¬
heit meldet. Schreiben Sie gleich, womöglich umgehend. Sie wis¬
sen ja, was für Mizwa bei den Jude Mewaker-Chole
*
-Sein
beteglátogató
ist, und Ihr Brief thut mehr als Mewakerchole sein. Aber
schreiben Sie nichts ernstes, schildern Sie Ihr Leben in Pankota
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Ihre Pläne, für die nächste Zukunft (aber nur für die nächste)
oder schreiben Sie was Sie wollen, nur schreiben Sie!
Ich werde auch mit dem Antworten nicht faul sein, und
verlangen sie nicht viel von mir, ich bringe Ihnen
auch jetzt ein großes Opfer.
„Deutschland”, das schon am 1. hätte weggehen sollen, konnte erst
am 22. nach Leipzig gehen, weil bis zu diesem Tage keiner¬
lei Postverbindung mit Leipzig existirte. Wenn ich irgend ein
Resultat erfahre, melde ich es Ihnen natürlich noch an dem
selben Tage.
Kommissionäre haben Sie –
[törölt]
« f »tag vor 8 Tagen (heute ist Sonntag) der Berger zu mir mit
Ihrem Briefe, sagt mir, daß darin von Rücken die Rede
sei und daß er Montag komme, sie abzuholen. Darauf
lief er fort, ohne zu warten bis ich Ihr Schreiben öffnen
könnte. Als er weg war, that ich dies, und las, daß Ber¬
ger mir 4 Gulden geben solle! Aber wo ist ein Berger?
Ich selbst hatte kein Geld, ich beschloß daher zu warten. Allein
Montag verging, morgen ist, schon sogar eine Woche, und von
einem Berger keine Rede! – Übrigens, bis ich wieder gehen
kann, schreibe ich Ihnen, dann schicken Sie die 4 Gulden und
ich führe die Kommission getreulich aus. Dazu brauchen mir
ja keinen Berger. Überhaupt sparen Sie, sparen Sie um
des Herren willen, damit sie einmal maturiren können
und nicht ewig Lehrer sein müssen.
Gott im Himmel! Ist das
[törölt]
« L »3 Uhr, um 4 findet die Trauung meiner Schwester im alten
Tempel statt, alles ist in Aufruhr, die Mutter schreit, Lotti
schreit, die Braut, Netti, schreit, die Friseurin schreit, auch ge¬
stoßen werde ich, mein ärmer Kopf ist ohnehin verrückt,
meine Wunde brennt, als ob ein höllischer Gedanke der Wollust
drauf läge – nein, ich kann nicht mehr! Leben
Sie wol, besser als ich, und schreiben Sie bald, heute ist
Sonntag, wenn es sein könnte, möchte ich längstens Freitag von
Ihnen einen großen, dicken Brief lesen. Jetzt, nur jetzt nicht
faul hin!
Ihr selbst in Leiden ewig gleicher Freund
Max Nordau